Multiple Sklerose: Neue Antigen-Therapie soll Immunsystem zähmen
ZURICH / HAMBURG - Eine neue Antigen-Therapie für Multiple Sklerose soll das Immunsystem wieder an das eigene Körpergewebe gewöhnen. In einer kleinen, internationalen Studie mit Zürcher Beteiligung senkte die einmalige Gabe genveränderter weisser Blutkörperchen die Reaktion der Körperabwehr deutlich.
Das Verfahren soll nun weiterentwickelt werden und könne möglicherweise auch gegen andere Autoimmun-Erkrankungen helfen, schreiben die Forscher um Roland Martin vom Universitätsspital Zürich (USZ) im Fachblatt "Science Translational Medicine". Allerdings muss das experimentelle Verfahren, das erstmals am Menschen erprobt wurde, in den kommenden Jahren noch in grossen Studien geprüft werden.
Sollte sich dabei der Nutzen der Therapie bestätigen, verspreche sie nicht nur neue Behandlungsansätze bei verschiedenen Autoimmunerkrankungen, sondern auch in der Transplantationsmedizin und bei Allergien, erklärte Martin in einer Mitteilung des USZ.
In der Schweiz leiden über 10'000 Menschen an Multipler Sklerose. Bei der Krankheit zerstört das Immunsystem die isolierenden Myelinscheiden um die Nervenfasern und oft auch die Fasern selbst, was Seh-, Empfindungs- oder Bewegungsstörungen auslösen kann. Bisherige Therapien verändern die gesamte Körperabwehr, was die Patienten etwa anfälliger für Infektionen machen kann.
Phase-1-Studie sollte Sicherheit der Therapie prüfen
Bei der neuen Behandlung entnahmen die Forscher am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf neun Patienten weisse Blutkörperchen. Diese Zellen veränderten sie chemisch und statteten sie mit verschiedenen Myelin-Bestandteilen aus. Dann wurden die Zellen den Teilnehmern in unterschiedlicher Menge wieder injiziert - mit dem Ziel, das Immunsystem an Bestandteile von Myelin zu gewöhnen.
Die Phase-1-Studie sollte in erster Linie prüfen, ob das Verfahren sicher ist. Tatsächlich löste die Therapie bei keinem Patienten grössere Nebenwirkungen aus. Zudem zeigten Tests, dass die Reaktion des Immunsystems auf Myelin um 50 bis 75 Prozent sank - besonders bei den höchsten Dosierungen von etwa drei Milliarden Zellen. Auf Krankheitserreger wie etwa Tetanus reagierte die Körperabwehr dagegen auch nach einem Monat noch uneingeschränkt.
Phase-2-Studie in der Schweiz schon genehmigt
"Die Therapie stoppt bereits aktivierte Autoimmun-Reaktionen und verhindert die Aktivierung neuer Autoimmun-Zellen", sagte der an der Studie beteiligte Immunologe Stephen Miller von der Northwestern University in Chicago. "Unser Ansatz lässt die Funktion des normalen Immunsystems intakt."
Auf Basis der Resultate planen die Forscher nun eine grössere Studie, die in Zürich, wo Studienleiter Martin inzwischen forscht, bereits genehmigt ist. "In der Phase-2-Studie wollen wir Patienten möglichst früh behandeln, bevor sie durch Myelinschäden Lähmungen haben", sagt Miller.
Ralf Gold von der Neurologischen Universitätsklinik in Bochum, der die Studie als Mitglied eines Überwachungsgremiums begleitete, gesteht der Methode ein hohes Potenzial zu. Möglicherweise könne das Verfahren - falls es sich in weiteren Studien bewähren sollte - aber nicht allen Patienten gleich gut helfen. Die beste Aussicht auf Erfolg, schätzt der Experte, hätten dann jene Menschen, bei denen die Autoimmunerkrankung in einem frühen Stadium erkannt werde
Quelle: SDA - 05.06.2013