Streit um Cholesterinsenker: Zu oft oder zu selten verschrieben?
Von Beate Kittl, sda
BERN - Experten sind sich uneinig, ob Menschen ohne Symptome vorbeugend Cholesterinsenker bekommen sollen: Nach neuen US-Richtlinien sollten sie häufiger, gemäss einem Schweizer Fachgremium seltener eingesetzt werden. Die Schweizerische Atherosklerose-Gesellschaft hält von beiden Empfehlungen nichts.
Statine - die meistverschriebenen Medikamente der Welt - senken Cholesterinwerte und können somit Herzkrankheiten vorbeugen. Ihr Nutzen ist erwiesen bei Patienten, die bereits eine Herzerkrankung oder einen Schlaganfall hatten.
Umstritten ist ihr präventiver Einsatz bei Menschen, die noch keine Symptome, aber ein erhöhtes Risiko für Herzkrankheiten haben. Das Risiko ist bei Rauchern, Männern, Diabetikern, Älteren und bei Bluthochdruck erhöht.
Neue Richtlinien der US-Herzgesellschaft (AHA) und der US-Akademie für Kadiologie (ACC) empfehlen, diese Personen je nach Risikoeinschätzung - unabhängig vom tatsächlichen Cholesterinspiegel im Blut - sofort mit Statinen zu behandeln. Gemäss einer neuen US-Studie kämen damit 13 Millionen zusätzliche Amerikaner ohne Symptome für eine Behandlung in Frage.
In der Schweiz geht der Trend in die entgegengesetzte Richtung: Im April empfahl das Swiss Medical Board (SMB), den in der Schweiz und Europa verwendeten Risikogrenzwert für eine Statinbehandlung doppelt so hoch anzusetzen wie bisher. Das SMB wird unter anderem von der Ärzteschaft (FMH) und der Gesundheitsdirektorenkonferenz der Kantone (GDK) getragen.
Fast alle oder fast niemand behandelt
Bei Schweizer Herz-Kreislauf-Spezialisten stösst beides auf Unverständnis. "Nach den US-Richtlinien würden in Mitteleuropa zum Beispiel sämtliche Männer und zwei Drittel aller Frauen über 55 Jahren mit Statinen behandelt - nach den Empfehlungen des SMB in der Schweiz keine Frau und kein nichtrauchender Mann unter 65 Jahren ohne vorherigen Herzinfarkt", sagt Arnold von Eckardstein vom Universitätsspital Zürich auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda.
Beides werde der gezielten Prävention nicht gerecht. Deshalb lehnt die Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose (AGLA) der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie, deren Präsident von Eckardstein ist, beide Empfehlungen ab. Gegen die Anwendung der US-Richtlinien in der Schweiz nimmt die AGLA heute in der Fachzeitschrift "Schweizerisches Medizinisches Forum" Stellung.
Behandlung ohne Zielwert
Verzichte man gemäss den US-Richtlinien auf Zielwerte für LDL-Cholesterin, wende man die Medikamente an, "ohne anzuschauen, wohin die Therapie führt", sagte von Eckardstein. Die darin angewandte neue Methode zur Risikoberechnung würde in der Schweiz die "Anzahl Statinbehandlungen stark erhöhen", wie die AGLA schreibt.
Auch die als sehr sicher geltenden Statine können Nebenwirkungen wie Muskel- oder Leberschäden haben. Die AGLA befürchtet zudem, dass die sehr wirksamen "Lifestyle"-Massnahmen zur Risikoreduktion - vornehmlich Rauchstopp, gesunde Ernährung, Gewichtsreduktion und mehr Bewegung - an Bedeutung verlieren könnten.
Überbehandlung verhindern
Überbehandlungen zu vermeiden ist auch das Ziel des Swiss Medical Boards. Dessen Empfehlungen schössen jedoch übers Ziel hinaus, kritisiert von Eckardstein. Sie würden darauf hinauslaufen, dass viele Menschen mit hohem Risiko - etwa wegen Diabetes oder einer familiären Stoffwechselstörung - womöglich erst behandelt werden, wenn sie schon einen Herzinfarkt erlitten haben.
Nach den derzeit in der Schweiz gebräuchlichen Risikotabellen würden keine Statine mehr an Männer unter 60 und Frauen unter 65 Jahren vergeben - auch wenn sie mehrere oder ausgeprägte Risikofaktoren haben.
"Die seit vielen Jahren in der Schweiz etablierten AGLA-Empfehlungen versuchen, einen Mittelweg zwischen den zwei Extremen der US- und SMB-Empfehlungen zu finden", sagt van Eckardstein.
Quelle: SDA - 07.05.2014
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