Die Bakterienflora könnte die Erkennung und Vorbeugung einer rheumatoiden Arthritis begünstigen


Exklusives Interview

ROCHESTER (MINNESOTA) - Die berühmte medizinische Einrichtung Mayo Clinic, die oft als eines der besten Krankenhäuser der Welt betrachtet wird, führte zwei Studien zu einem brandaktuellen Thema durch: Sie befassten sich mit der Bakterienflora (die wissenschaftliche Bezeichnung lautet Mikrobiota, siehe Glossar am Ende des Artikels) und ihrer Auswirkung auf die rheumatoide Arthritis (RA). Diese Studien wurden von Frau Dr. Veena Taneja, einer Immunologin an der Mayo Clinic in Rochester (Minnesota / USA) geleitet. In den letzten Monaten und Jahren wurden zahlreiche Studien über die Mikrobiota und ihre potentielle Auswirkung auf verschiedene Erkrankungen wie z. B. Chronisches Erschöpfungssyndrom, Übergewicht, Diabetes oder Multiple Sklerose veröffentlicht. Manche Wissenschaftler bezeichnen den Darm mit seinen zahlreichen Neuronen und seiner Mikrobiota gelegentlich als “Zweites Gehirn“. Pharmapro hilft Ihnen, diese Studien besser zu verstehen, insbesondere durch ein Exklusivinterview mit Frau Dr. Taneja, das nachfolgend wiedergegeben wird.

Rheumatoide Arthritis

Mehr als 1,5 Millionen Amerikaner leiden an rheumatoider Arthritis (RA), einer Autoimmunerkrankung, die zu Gelenkentzündungen führt. Nach dem aktuellen Stand ist die Ursache den Wissenschaftlern noch nicht vollständig bekannt. Der Ausbruch der RA erfolgt normalerweise um das 25. Lebensjahr, doch die ersten Symptome machen sich erst Jahre später bemerkbar. Frau Dr. Taneja und ihr Team haben Darmbakterien als mögliche Ursache der RA ermittelt, und ihre Studien weisen darauf hin, dass die Analyse bestimmter Bakterien im Darm helfen könnte, eine RA zu diagnostizieren bzw. ihrem Auftreten vorzubeugen.

“Diese Entdeckungen sind sehr ermutigend und könnten genutzt werden, um die Behandlung individuell auf die Patienten abzustimmen“, betonte Frau Dr. Taneja in einer Mitteilung.

Überschuss bestimmter Bakterien

Diese in der Fachzeitschrift Genome Medicine veröffentlichte Studie wurde mit RA-Patienten, ihren Verwandten und einer Kontrollgruppe aus gesunden Probanden durchgeführt. Das Ziel bestand darin, einen Biomarker, der die Veranlagung zur Entwicklung einer RA erkennen lässt bzw. eine Substanz, die auf die Krankheit hinweist, zu finden. Man stellte fest, dass ein Überschuss an bestimmten seltenen Bakterien zu einem Ungleichgewicht in der Darmflora von RA-Patienten führte. Mehr dazu erfahren Sie im nachfolgenden Interview.

Um diese Ergebnisse zu erzielen, setzten die Forscher Methoden der DNA-Sequenzierung ein.

Bakterien zur RA-Behandlung ?

In einer weiteren Studie, die in der Zeitschrift Arthritis and Rheumatology veröffentlicht wurde, arbeitete das Team von Frau Dr. Taneja mit Mäusen. Eine Gruppe von Mäusen mit Veranlagung zur Entwicklung einer Arthritis wurde durch Injektion der Bakterien Prevotella histicola behandelt und anschließend mit einer Gruppe von Mäusen verglichen, die diese Bakterien nicht erhalten hatten. Die Wissenschaftler konnten beobachten, dass die Mäuse, die mit dem Bakterium behandelt worden waren, eine geringere Häufigkeit und Schwere der Symptome und generell weniger entzündliche Begleiterkrankungen der rheumatoiden Arthritis aufwiesen.

Das Experiment wurde noch nicht an Menschen durchgeführt, doch man muss wissen, dass Immunsystem und Arthritis bei Mäusen und Menschen vergleichbar sind. Da diese Bakterienart zur menschlichen Darmflora gehört, sind Nebenwirkungen bei dieser Behandlung unwahrscheinlich, erklärt Dr. Joseph Murray, ein Gastroenterologe, der an der Studie beteiligt war.

Exklusivinterview

Um manche Details dieser Studie besser zu verstehen, bekam Creapharma die Möglichkeit, Frau Dr. Taneja, die dieses Forschungsprojekt geleitet hat, zu interviewen.

Haben Sie Ihre erste Studie mit Mäusen oder mit Menschen durchgeführt? Könnten Sie sie näher erläutern ?
Unsere Studie, die in der Zeitschrift Genome Medicine veröffentlicht wurde, wurde mit Menschen durchgeführt. Mithilfe neuester Technologien der DNA-Sequenzierung konnten wir zeigen, dass die Darmmikrobiota (Anm d. Red.: die Darmflora) bei Patienten mit rheumatoider Arthritis eine geringere Vielfalt aufweist als bei Verwandten ersten Grades oder gesunden Menschen. Den Ergebnissen unserer Studie zufolge kommen bestimmte Bakterien, die bei gesunden Menschen in sehr geringer Anzahl vorhanden sind, bei RA-Patienten übermäßig vor.

Mithilfe eines Algorithmus-Systems konnten wir 2 Bakterien ermitteln, die bei den Patienten gehäuft auftreten und bei gesunden Menschen nicht anzutreffen sind. Ein Bakterium, das als vorteilhaft für die Gesundheit unseres Darms gilt und normalerweise bei gesunden Menschen in großer Menge vorhanden ist, konnte bei den (von RA betroffenen) Patienten nur in geringer Menge nachgewiesen werden.

Außerdem haben wir mithilfe einer Biopsie am Menschen ein Bakterium ermittelt, das im oberen Teil des Darms vorkommt und sich zur Beseitigung der Entzündung als nützlich erwiesen hat, Prevotella histicola. In unserer Studie, die in der Zeitschrift Arthritis Rheumatology veröffentlicht wurde, haben wir Mäuse, die an Arthritis litten und genetisch verändert wurden, um ein menschliches Arthritis-Gen aufzuweisen, mit dem Bakterium Prevotella histicola behandelt. Die mit diesem Bakterium behandelten Mäuse wiesen keine schwere Form der Arthritis auf bzw. sie entwickelten im Vergleich mit den Mäusen, die nicht mit diesem Bakterium behandelt worden waren, seltener eine Arthritis.

Könnte Ihre erste Studie demnächst zu neuen Diagnosemethoden führen? Haben Sie eine Vorstellung, wie lange es dauern wird, bis diese Methoden auf dem Markt verfügbar sind ?
Wir arbeiten daran, diese Ergebnisse an einer größeren Probandengruppe zu bestätigen. Unserer Ansicht nach kann das mikrobielle Profil, sowie die anderen bekannten Faktoren, dazu dienen, das Risiko vorherzusagen, aber auch zu ermitteln, warum bestimmte Personen eine schwere Arthritis entwickeln und andere nicht. Jedes Individuum hat seine eigene bakterielle Zusammensetzung, und das könnte erklären, warum ein Arzneimittel nicht bei jedem anschlägt. Die Ermittlung, wie wir diese Informationen nutzen können, erfordert noch viel Arbeit.

In einer anderen Studie befassten sich Frau Prof. Maureen R. Hanson und ihr Team von der Cornell University mit dem Chronischen Erschöpfungssyndrom (CFS) im Zusammenhang mit der Mikrobiota. Laut ihrer These lösen bestimmte Darmbakterien, wie z. B. E. Coli, eine Reaktion des Immunsystems aus, die möglicherweise für bestimmte CFS-Symptome verantwortlich ist. Sind Sie der Meinung, dass im Darm eine Ursache der rheumatoiden Arthritis zu finden ist oder glauben Sie eher, dass es sich dabei um eine Folge der RA handelt, mit anderen Worten, ist die RA die Ursache für das Ungleichgewicht der Darmflora ?
Unsere Studie, aber auch andere Studien zeigen, dass das Darmmikrobiom in der Pathogenität der rheumatoiden Arthritis eine kritische Rolle spielt. Aber um herauszufinden, ob es sich bei diesem Ungleichgewicht in der Darmflora um die Ursache oder die Folge handelt, müssen weitere Studien durchgeführt werden.

Es werden immer mehr Studien über das Mikrobiom und die Darmflora im Allgemeinen veröffentlicht, worauf der berühmte amerikanische Kardiologe Eric Topol in einem Tweet hingewiesen hat, vom Chronischen Erschöpfungssyndrom bis zur RA, wie in Ihrer Studie. Handelt es sich nicht eher um eine “Modeerscheinung“, die das Risiko einer Überbewertung der Rolle dieser Flora beim Auftreten zahlreicher Erkrankungen mit sich bringt? Oder sind Sie stattdessen der Ansicht, dass ein besseres Wissen über die Mikrobiota zu einer Art medizinischen Revolution führen und zur Entwicklung sehr innovativer Medikamente beitragen könnte ?
Ich glaube, dass das Mikrobiom einen starken Einfluss auf das Immunsystem hat. Unsere in der Zeitschrift Genome Medicine veröffentlichte Studie hat, wie andere Studien, die entscheidende Rolle des Mikrobioms im Zusammenhang mit Krankheiten nachgewiesen. Darüber hinaus deutet unsere in der Zeitschrift Arthritis Rheumatology veröffentlichte Studie darauf hin, dass ein stabiles Mikrobengleichgewicht die Unterdrückung der Immunantwort unterstützt und auf diese Weise das Fortschreiten der RA unterbindet.

Die Tatsache, dass die Darmflora daran beteiligt sein kann, ist nicht neu, wenn wir bedenken, dass die Bedeutung der Ernährung für die menschliche Gesundheit seit Jahrhunderten bekannt ist. Aus den antiken Texten der indischen Ayurveda-Heilkunst geht hervor, dass Nahrungsmittel auf den Organismus wie Arzneimittel wirken, wenn sie richtig verzehrt werden. Die Ernährung hat einen großen Einfluss auf die Beschaffenheit der Bakterien, die den Darm besiedeln. Das Potential des Darmmikrobioms (Anm. d. Red.: DNA-Sequenzierung) und seine Auswirkung auf Krankheiten ist vor kurzem aufgrund technologischer Fortschritte in den Mittelpunkt des Interesses gerückt.

15. Juli 2016. Von Xavier Gruffat (Diplom-Pharmazeut, ETHZ - Diplom-MBA). Quellen: Pressemitteilung der Studie, Interview mit Frau Dr. Taneja. Zum vollständigen Originalinterview auf Englisch auf unserer Partnerseite Creapharma.com

Glossar:

Mikrobiota - Darmflora
Die menschliche Mikrobiota umfasst die Gesamtheit der Mikroben, insbesondere der Bakterien, aber auch der Pilze und sonstigen Mikroorganismen, die mit dem Menschen in Symbiose leben. Im Darmbereich wird die Mikrobiota auch als Mikroflora, Darmflora oder Darmmikrobiota bezeichnet.

Mikrobiom
Der Begriff Mikrobiom (identisch mit dem englischen microbiome) bezeichnet das Genom der Mikrobiota.

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