Exklusivinterview mit einem amerikanischen Professor über Gicht, eine äusserst schmerzhafte Krankheit

EXKLUSIF AUF PHARMAPRO.CH


WASHGINTON D.C. - Gicht ist eine Form von entzündlicher Arthritis und es handelt sich um eine sehr schmerzhafte Krankheit. Pharmapro.ch konnte Professor Herbert S. B. Baraf von der George Washington University in den Vereinigten Staaten darüber befragen. Als Spezialist für Gicht hilft er uns, die Krankheit und insbesondere die verschiedenen Medikamente besser zu verstehen. Er erklärt uns zum Beispiel, dass Gicht eigentlich zwei verschiedene Erkrankungen oder Leiden darstellt.

Pharmapro.ch (Xavier Gruffat) - Warum ist Gicht so schmerzhaft?

Prof. Baraf - Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen einen genauen Grund dafür nennen kann, aber es ist bestimmt eine ziemlich schmerzhafte Krankheit. Der Schmerz ist die Folge einer intensiven Entzündungsreaktion, die durch die Ausscheidung von Kristallen im betroffenen Gelenk ausgelöst wird. Das Gelenk schwillt an, wird rot und ist in der Regel schon bei der geringsten Berührung extrem empfindlich. Gewöhnlich treten die ersten Beschwerden von Gichtarthritis (Anm. d. Red. Gicht) an den Füssen auf, wo sie in der Regel die grosse Zehe betrifft. Dort kann der Druck von Leintüchern oder selbst die Erschütterung durch Schritte im selben Raum starke Schmerzanfälle verursachen.

Welches Medikament (Molekül) verschreiben oder empfehlen Sie gegen akute Gichtschmerzen während der berüchtigten Anfälle am meisten?

Es gibt drei Medikamentenklassen, die bei einer Person mit Gichtanfall hilfreich sein können. Das erste ist Colchizin, das seit mehr als 200 Jahren verwendet wird. Nichtsteroidale Antirheumatika NSAR sind die zweite Klasse von Medikamenten, die alle sehr hilfreich sein können (Indomethacin, Celecoxib, Ibuprofen und Naproxen sind bekannte und häufig verschriebene NSAR). Schliesslich können Corticosteroide in Tablettenform, intramuskulär oder direkt in das entzündete Gelenk gespritzt einen Gichtanfall kontrollieren.

Ist Allopurinol immer noch das beste Mittel gegen Gicht oder schlagen Sie andere Medikamente (Moleküle) vor?

Ich halte es für sinnvoll, Gicht in zwei Beschwerden oder Zustände zu gliedern. Die erste ist die Arthritis und die zweite ist eine Stoffwechselstörung, die einen Anstieg des Harnsäurespiegels im Blut verursacht. Da Harnsäure bei hohen Blutspiegeln nicht sehr gut im Blut löslich ist (sie löst sich nicht leicht auf), lagern sich Harnsäurekristalle in den Gelenken ab und sammeln sich dort an. Dies kann unbemerkt über Monate und Jahre hinweg geschehen. Das erste Aufflammen der Arthritis ist das Ergebnis dieser Ansammlung. Allopurinol wird verwendet, um diese Kristallablagerungen zu entfernen. Febuxostat ist ein zweites orales Medikament, das häufig zur Senkung der Harnsäure eingesetzt wird. Beide sind wirksam, insbesondere wenn der Arzt des Patienten den Harnsäurespiegel im Blut überwacht oder kontrolliert und die Dosis des Medikaments so weit senkt, dass sich die Kristalle auflösen und über die Nieren im Urin ausgeschieden werden können.

Gicht ist eine gut erforschte und dokumentierte Krankheit. Gibt es dennoch interessante neue Informationen über Gicht, die in den letzten drei Jahren aufgetaucht sind?

Es erscheinen immer wieder neue und interessante Informationen über Gicht. Das jüngste Medikament zur Behandlung von Gicht, Pegloticase, wurde vor über 10 Jahren eingeführt. Es ist ein Enzym, das Harnsäure bei Kontakt in eine Substanz umwandelt, die leicht mit dem Urin ausgeschieden wird. Es wird bei Patienten mit besonders schwerer Gicht eingesetzt und mittels intravenöser Infusion verabreicht. Pegloticase stimuliert jedoch häufig das Immunsystem einer Person zur Bildung von Antikörpern. Diese Antikörper führen zum Absetzen des Medikaments und können sogar allergische Reaktionen auf das Medikament hervorrufen. Die Hälfte der mit Pegloticase behandelten Patienten spricht auf das Medikament bereits nicht mehr an, bevor es eine Chance hat zu wirken. Wir wissen, dass durch die Zugabe von Arzneimitteln, die die Immunantwort und die Bildung von Antikörpern unterdrücken, Pegloticase bei einem grösseren Anteil der behandelten Patienten wirksam sein kann. Schliesslich gibt es ein neues Mittel, das derzeit untersucht wird. Es handelt sich ebenfalls um ein Enzym, das bei der Beseitigung von Harnsäure hilft.

Was sind die Hauptgründe (oder «Hauptschuldigen») für Gicht, insbesondere in den Vereinigten Staaten?

Der für Gicht verantwortliche Anstieg der Harnsäure kann auf mehrere Faktoren zurückzuführen sein. Die Genetik spielt eine wichtige Rolle bei der Art und Weise, wie die Nieren Harnsäure ausscheiden. Auch diuretische Medikamente, die Patienten mit Herz- und Nierenerkrankungen verabreicht werden, können den Harnsäurespiegel im Blut erhöhen. Erhöhte Harnsäurespiegel werden häufig bei Menschen mit Übergewicht oder Diabetes beobachtet. Mit dem zunehmenden Alter unserer Bevölkerung entwickeln immer mehr Menschen hohe Harnsäurespiegel und dann Gicht.

Wissen wir, warum Männer stärker betroffen sind als Frauen?

Männer haben höhere Harnsäurespiegel im Blut. Weibliche Hormone halten die Harnsäure bei Frauen niedriger und schützen vor Gicht. In den Wechseljahren nimmt der Östrogenspiegel bei Frauen ab und die Harnsäure im Serum zu. Frauen nach der Menopause beginnen mit der gleichen Geschwindigkeit wie Männer an Gicht zu erkranken. Natürlich können Männer bereits im Alter von 20-40 Jahren beginnen, Gicht zu entwickeln, was für Frauen sehr ungewöhnlich ist. Somit gibt es insgesamt viel mehr Männer als Frauen, die an Gicht leiden.

Athleten sind dem Risiko, an Gicht zu erkranken, stärker ausgesetzt als Marathonläufer (einige Quellen sprechen von einem 5-mal höheren Risiko), wissen wir, warum das so ist?

Ich konnte diesen Zusammenhang bisher noch nie feststellen. Ich kann nicht bestätigen, dass er zutrifft. Sollte es der Fall sein, kann ich Ihnen abgesehen von wiederholten Fussverletzungen keine Erklärung dafür geben.

Und abschliessend, abgesehen von Medikamenten, welche Empfehlung würden Sie geben, um Gicht vorzubeugen?

Das Gewicht unter Kontrolle halten und übermässigen Alkoholkonsum vermeiden, das sind die besten Ratschläge. Der Anstieg des Harnsäurespiegels im Blut ist jedoch grösstenteils auf genetisch bedingte Fehlfunktionen der Niere zurückzuführen. Sie beeinträchtigen die Art und Weise, in der die einzelne Person Harnsäure ausscheidet.

2. November 2020. Das Interview wurde in englischer Sprache zwischen Ende Oktober und Anfang November 2020 von Xavier Gruffat (Apotheker) für Pharmapro.ch und Creapharma.ch geführt. Pharmapro.ch dankt Herrn Prof. Baraf für die gewidmete Zeit.

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