Psychologie - Das Leiden anderer kann die psychische Widerstandskraft stärken


LAUSANNE - Die Beobachtung von traumatischen Erlebnissen bei anderen kann die eigene Widerstandsfähigkeit stärken und vor Depressionen schützen. Die Existenz einer solchen "emotionalen Ansteckung" haben Schweizer Forschende in einer neuen Studie an Mäusen nachgewiesen.

"Wir haben herausgefunden, dass Mäuse, die kurz beobachten, wie ein Artgenosse verletzt wird, widerstandsfähiger werden", schrieb das Forschungsteam unter Leitung von Manuel Mameli von der Universität Lausanne in der am Donnerstag im Fachblatt "Science" veröffentlichten Studie. So reagierten Mäuse weniger verzweifelt auf Elektroschocks, wenn sie zuvor beobachtet hatten, wie Artgenossen damit umgingen.

In einer Welt mit zahlreichen Konflikten würden immer mehr Menschen Zeuge, wie andere in Not geraten, schrieben die an der Studie unbeteiligte Forschenden Martin Metzger und Jose Donato in einem Kommentar zur Studie im gleichen Fachblatt. "Einige entwickeln Angststörungen oder sogar eine schwere depressive Erkrankung, während andere sich gegen diese Notlage wappnen und ihr psychologisches Wohlbefinden trotz aller Widrigkeiten aufrechterhalten", so Metzger und Donato. Wie jedoch Resilienz, wie die Widerstandskraft in der Fachsprache heisst, zustande komme, sei bisher unklar.


Experiment mit Elektroschocks

In einem Experiment setzten Forschende der Universität Lausanne eine Gruppe von Mäusen anderen Mäusen nahe, die kleine Elektroschocks an den Pfoten erhielten, um mehr über dieses Entstehen von Resilienz herauszufinden. Die Elektroschocks waren für die Mäuse unangenehm, aber nicht gefährlich. Die Beobachtermäuse konnten die Reaktionen der Mäuse, die die Elektroschocks erhielten, sehen.

Diese Beobachtung führte dazu, dass die Beobachtermäuse eine Form der "emotionalen Ansteckung" erlebten, wie die Forschenden in der Studie beschrieben. Die Mäuse nahmen die emotionalen Zustände der anderen Mäuse wahr und reagierten darauf.

Nach der Beobachtungsphase wurden die Beobachtermäuse selbst den gleichen Elektroschocks ausgesetzt. Die Forschenden stellten fest, dass die Mäuse, die zuvor die traumatischen Erlebnisse anderer beobachtet hatten, weniger anfällig für die Entwicklung depressionsähnlicher Symptome waren als Mäuse, die keine solchen Beobachtungen gemacht hatten.

Serotonin ist Grund

Um zu verstehen, wie die Mäuse durch das Beobachten des Leids anderer resilienter wurden, untersuchten die Forschenden die Aktivität in der Hirnregion namens Habenula. Die kleine Region im Gehirn spielt eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung negativer Emotionen.

Sie stellten fest, dass die Beobachtermäuse in dieser Hirnregion eine gesteigerte Freisetzung von Serotonin aufwiesen. Serotonin ist ein Neurotransmitter, der oft mit positiven Stimmungen und Wohlbefinden in Verbindung gebracht wird.

Die Forschenden vermuten, dass die erhöhte Freisetzung von Serotonin dazu beiträgt, die Widerstandsfähigkeit der Beobachter zu erhöhen, indem sie das sogenannte neuronale Bursting in der betroffenen Hirnregion reduziert. Neuronales Bursting ist ein Zustand, in dem Neuronen im Gehirn eine Serie von schnellen, hochfrequenten Impulsen abfeuern. In bestimmten Hirnregionen kann dieses Bursting mit negativen emotionalen Zuständen wie Stress oder Depression in Verbindung gebracht werden.

Hilfreich für Behandlung von Depressionen?

"Diese Ergebnisse sind möglicherweise für die Behandlung von schweren Depressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen und Suchtkrankheiten von Bedeutung", schrieben Metzger und Donato. "Die Neurobiologie der Resilienz ist jedoch komplex", räumten sie ein.

So gebe es nur begrenzte Hinweise darauf, dass Behandlungen, die auf Serotonin-Mechanismen abzielen, die Resilienz wirksam fördern. Ausserdem sei mit dem Experiment nur ein spezifischer Typ von Resilienz untersucht worden.

Quelle: SDA / Keystone - 05.09.2024, Copyrights Bilder: Adobe Stock/© 2024 Pixabay

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