Eine Studie zeigt, dass Statin-Intoleranz überschätzt wird
PARIS - Die Statin-Unverträglichkeit, die viele Patienten davon abgehalten hat, diese verschriebene Behandlung gegen zu hohe Cholesterinwerte im Blut einzunehmen, wird tatsächlich deutlich überschätzt. Zu diesem Schluss kommt eine umfangreiche Studie zu diesem Thema, die am 16. Februar 2022 veröffentlicht wurde. Statine sind weit verbreitete Medikamente, die zur Vorbeugung von Herzerkrankungen und Schlaganfällen eingesetzt werden.
Aus Furcht vor Nebenwirkungen - die durchaus auftreten können - unterbricht bis zu jeder zweite Patient seine Behandlung oder ändert sie ab (geringere Dosis, unregelmässige Einnahme). Dadurch setzen sich diese Patienten potenziell einem erhöhten Risiko für schwere Herzprobleme aus.
Die Risikofrage war bislang noch stark umstritten. Eine am 16. Februar 2022 im European Heart Journal (DOI: 10.1093/eurheartj/ehac015) erschienene Metaanalyse, die 176 Studien zu diesem Thema berücksichtigt und auf der Analyse von 4 Millionen Patienten beruht, räumt nun mit den gängigen Vorstellungen auf.
Überdiagnostizierte Intoleranz
Die Autoren der Studie unterstreichen, dass die Statin-Intoleranz überschätzt und überdiagnostiziert wird. Die Patienten riskieren aufgrund eines hohen Cholesterinspiegels eher, an Herz- und Gefässproblemen - auch mit tödlichem Ausgang - zu leiden, als an Nebenwirkungen bei der Einnahme von Statinen.
Bisher ging aus verschiedenen Berichten oder Studien hervor, dass die Statin-Unverträglichkeit zwischen 5 % und 50 % schwanken kann. Den von der Metaanalyse zusammengestellten Daten zufolge soll sie tatsächlich bei 9,1 % liegen. Nach einigen internationalen Standards wäre die Prävalenz sogar noch niedriger.
Diese Ergebnisse «bedeuten, dass rund 93 % der Patienten, die Statine einnehmen, wirksam, mit ausgezeichneter Verträglichkeit und ohne jegliches Risiko behandelt werden können», so der Hauptautor der Studie, Professor Maciej Banach von der Medizinischen Universität Lodz und der Universität Zielona Góra in Polen.
![]() |
Nocebo-Effekt
«Wir müssen die Symptome der Patienten sehr sorgfältig bewerten», stellte er fest. «Erstens, um zu sehen, ob diese Symptome tatsächlich durch die Statine verursacht werden. Und zweitens, um zu evalouieren, ob die Wahrnehmung der Patienten in puncto Schädlichkeit der Statine tatsächlich für mehr als die Hälfte aller Symptome verantwortlich sein könnte, und nicht das Medikament selbst.»
In einer 2017 in The Lancet erschienenen Studie schätzten Forscher des Imperial College London bereits, dass mehrere Studien über die Nebenwirkungen von Statinen die Menschen offenbar davon überzeugt haben, diese selbst zu empfinden. Ein psychologisches Phänomen, das als «Nocebo-Effekt» bezeichnet wird.
Ein weiteres Ergebnis der am 16. Februar 2022 veröffentlichten Metaanalyse ist, dass ältere Menschen, Frauen, Schwarze und Asiaten, Fettleibige, Menschen mit Diabetes, unteraktiven Schilddrüsen oder chronischer Leber- oder Niereninsuffizienz eher dazu tendieren, eine Statin-Unverträglichkeit entwickeln.
Auch Medikamente zur Kontrolle eines unregelmässigen Herzschlags (Arrhythmie), Kalziumkanalblocker (die häufig gegen Brustschmerzen und Bluthochdruck verschrieben werden) und Alkoholkonsum erhöhen ebenfalls das Risiko einer Unverträglichkeit.
Mit dem Hausarzt oder Apotheker sprechen
Laut Prof. Banach sind diese Informationen sind sehr hilfreich. Bei einem hohen Risiko von Intoleranz kann es notwendig sein, die Dosis zu reduzieren oder andere Medikamente anstelle von Statinen zu erwägen.
Die Forscher räumen einige Grenzen ihrer Metaanalyse ein, wie z. B. Unterschiede zwischen Patienten, die von verschiedenen Studien betroffen waren, sowie fehlende Informationen über die von einigen von ihnen konsumierten Alkoholmengen.
Aber die grosse Anzahl an Studien und Patienten, die in diese Metaanalyse einbezogen wurden, hält die Verzerrungen in Grenzen. Für Prof. Banach ist die wichtigste Botschaft dieser Studie, dass «Patienten Statine weiterhin in der vorgeschriebenen Dosis einnehmen und Nebenwirkungen mit ihrem Arzt besprechen sollten, anstatt das Medikament abzusetzen».
In der Schweiz können auch der/die Apotheker/in und sein/ihr Team die Patienten bei der Einnahme von Statinen beraten.
16. Februar 2022. Quellen: AFP (Keystone-SDA), European Heart Journal (DOI: 10.1093/eurheartj/ehac015). Wissenschaftliche Überarbeitung und Fertigstellung des Textes: Xavier Gruffat (Apotheker, Pharmapro.ch). Copyrights Bilder: Adobe Stock/© 2021 Pixabay